Tischgespräch zum Thema Beteiligungsplattform für räumlich-infrastrukturelle Projektideen, am Barcamp zu smarter Partizipation (Bild: Tsüri.ch / Laura Kaufmann / CC2.0)
Stell dir vor, du bist auf dem Weg zum Wipkinger Openair 2023. Vor dem Bahnhof Hardbrücke fallen dir als erstes die bunten Säulen der Hardbrücke auf. Lokale Künstler*innen dürfen sie seit dem Frühling als Malfläche nutzen. Dann schnappst du dir ein Velo der öffentlichen Verleihstelle. Die Route unter der Hardbrücke hat sich merklich verbessert, seit die Stadt die Randsteine abgeschliffen hat. An der Limmat stellst du das Fahrrad wieder ab – direkt neben einer kleinen Baustelle.
Was kommt denn hier? Auf der Tafel liest du, dass auf Wunsch mehrerer Winterschwimmer*innen nun ein kleines Garderobenhäuschen mit einer Dusche gebaut wird. Es soll im Herbst, zu Ende der Badesaison, eröffnet werden – für alle jene, die sich von kalten Temperaturen nicht abschrecken lassen und das ganze Jahr lang regelmässig in die Limmat springen. Du schliesst mit deiner Freundin eine Wette ab, dass ihr das im Dezember dann auch macht – zumindest einmal als Mutprobe.
Flussaufwärts steht das Silo im Abendlicht. Ihr bemerkt die vielen Leute, die dort die Wände hochkraxeln – dank der neuen städtischen Kletteranlage. Dass man vom Dach einen wahnsinnigen Sonnenuntergang erleben kann, ist wohl auch kein Geheimnis mehr. Flussabwärts basst das Openair. Es ist bereits rappelvoll, wie immer… Manche Dinge ändern sich eben nie.
Aber das, was sich hier im Kleinen und Lokalen verändert hat, ist der neuen Beteiligungsplattform zu verdanken – oder vielmehr den engagierten Quartierbewohner*innen, die dort ihre Ideen eingeben. Ideen, die nur aus dem spezifischen Wissen der lokalen Bevölkerung heraus entstehen können; Ideen, die manchmal für Aussenstehende oder sogar für Bewohner*innen eines anderen Quartiers absurd oder unverständlich wirken, die aber hier auf Verständnis, Unterstützung und Begeisterung stossen; Ideen, die oft gar nicht teuer oder kompliziert sind in der Umsetzung, die aber einfach zu klein und zu spezifisch sind, um auf gesamtstädtischer Ebene Gehör zu finden.Somit zurück in‘s Jahr 2018…
Das Potenzial von Online-Beteiligungsplattformen
In den letzten Jahren haben immer mehr Städte direkt-demokratische Verfahren zur Aushandlung der Verteilung eines Teils ihrer öffentlichen Mittel eingeführt, wie beispielsweise Reykjavik, Madrid, Berlin, Paris, Wien und Montevideo. Die Grundidee: Städte oder Stadtteile stellen einen Teil ihres Budgets für die Umsetzung von Projekten zur Verfügung, die direkt von der Bevölkerung initiiert werden. Der Ablauf: Stadtbewohner*innen reichen auf einer Online-Plattform Projektideen ein, diese werden von der Stadt auf ihre Machbarkeit und Kosten hin geprüft, anschliessend kann online darüber abgestimmt werden. Die Stadt verpflichtet sich dabei, die beliebtesten Projekte umzusetzen, bis das Budget erschöpft ist. Mancherorts ist der Abstimmungsprozess auch mehrstufig, um mehr Meinungen und eine sorgfältigere, auf Wissensaustausch basierte Ausarbeitung der Idee zu gewährleisten. In diesen Städten kann man nun also im Internet nicht mehr nur Katzenvideos teilen, Schuhe kaufen, Blinddates verabreden, arbeiten oder ein Hotelzimmer buchen, sondern man kann auch darüber diskutieren und mitbestimmen, was vor der eigenen Haustür passiert. Wir von Nextzürich wollen eine solche Online-Beteiligungsplattform auch für Zürich. Und dies, obwohl oder gerade weil das Internet auf unterschiedlichen Ebenen unsere Demokratie bedroht.
Mitgestalten der Digitalisierung
Das Internet schien, als es aufkam, die grosse Chance zu sein für eine demokratischere Welt. Stichworte wie Open Source oder Netzneutralität erzählen von dieser Hoffnung. Das Internet hätte zum globalen Austausch von Information und Wissen dienen können, zu einer solidarischen Vernetzung unkommerzieller Interessen, es hätte das Wissens- und Produktionsmonopol der grossen Institutionen und globalen Konzerne aushebeln können. Kurz: Das Internet hätte die Demokratie stärken können.
Von diesen emanzipatorischen Potenzialen des Internets ist momentan nicht viel zu spüren: Zu sehr dominieren die grossen Konzerne den digitalen Raum, zu sehr haben kommerzielle Interessen das Internet in ihrer Logik okkupiert. Wer an der digitalen Welt teilnehmen will bezahlt Eintritt, und zwar im Normalfall mit individuellen Daten (eine im gesellschaftlichen Bewusstsein stark unterschätzte Währung) und mit einem Verlust an Selbstbestimmung. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten sind minimal: Womit wir für Dienstleistungen bezahlen, wie sehr wir uns zu erkennen geben, was wir gezeigt bekommen, welche Filter und Algorithmen auf unsere digitalen Aktionen angewendet werden, wer worauf tatsächlich Zugang hat – auf all dies haben wir sehr wenig bis gar keinen Einfluss. Stattdessen machen wir uns Sorgen, sobald wir Stichworte hören wie zum Beispiel Filter Bubble, Fake News, Big Data oder Datenschutz. Aber noch ist es nicht zu spät. Ja, die Digitalisierung unserer Alltagswelt und somit unserer Städte ist nicht mehr aufzuhalten. Aber anstatt sie zu bedauern und zu fürchten gilt es nun umso mehr, sie mit zu gestalten, sie zu unserem Vorteil zu nutzen, dafür einzustehen, dass die Digitalisierung nicht als Ziel und Zweck an sich betrachtet wird, sondern dass sie für die Demokratie und für die fortwährende Demokratisierung aller möglichen Lebensbereiche eingesetzt und genutzt wird.
Gute Ideen dafür und gute Anfänge davon gibt es reichlich: Im zivilgesellschaftlichen Bereich sind das zum Beispiel digitale Plattformen für Sharing-Economies, für die Vernetzung oder den Wissensaustausch zwischen Bürger*innen oder engagierten Initiativen. Auch Politiker*innen vernetzen sich, lokale bis landesweite Kampagnen werden online organisiert, Unterstützer*innen werden online mobilisiert. Verwaltungen optimieren interne Prozesse oder vereinfachen den Kontakt zur Bevölkerung durch digitale Schnittstellen. Und genau da könnte man noch einen Schritt weiter gehen und in Zürich eben eine solche Beteiligungsplattform für Ideen einführen.
Die Relevanz des Lokalen
Ja, Zürich ist nicht Madrid, ist nicht Paris, ist nicht Montevideo. Wir leben in einem dezentralen, föderalistischen System, in dem den einzelnen Gemeinden viel Eigenständigkeit zugesprochen wird. Wir haben – im Gegensatz du den meisten Städten weltweit – diverse Möglichkeiten, bei politischen Entscheidungen mitzureden oder Fragen selbst zu initiieren und Antworten oder Entscheidungen einzufordern. Grosse raumwirksame Entscheidungen kommen immer vor das Volk. Aber was ist mit den kleinen, hyper-lokalen Projekten? Was ist mit Projekten, für die es keine 3000 Unterschriften braucht, sondern bloss eine Idee und eine damit einverstandene Nachbarschaft?Und was ist mit Ideen von Menschen und Gruppen, die weder das Wissen noch die Ressourcen für eine politische Kampagne haben und die keine Lokalpolitiker*innen persönlich kennen, bei denen sie ihre Wünsche deponieren können? Was ist mit Ideen von Menschen, sich sich ganz pragmatisch einfach nur eine Dusche bei ihrem Badeplatz oder eine Rutsche auf dem Spielplatz wünschen?
Zugegeben, über Gesetzesänderungen oder Migrationsfragen sollten wir vielleicht nicht per Daumen-hoch-Klick auf einer farbenfrohen Website entscheiden. Aber was, wenn man die dort gültigen Ideen und Entscheidungsprozesse (erstmal) auf hyper-lokale, räumliche und infrastrukturelle Themen beschränkt? Gerade bei solchen Themen haben wir Städter*innen nämlich das nötige Wissen um uns eine fundierte Meinung zu bilden: Wir sind die Expert*innen für unsere Nachbarschaft, für unser Quartier, mehr als es die Stadtverwaltung je sein kann – doch unser lokal-spezifisches Wissen liegt brach, denn die Stadtverwaltung hat nicht die Ressourcen und den Zugang, alle unsere mikroskopischen Bedürfnisse lückenlos einzufangen und anzusprechen. Es fehlt schlichtwegs ein Instrument dafür.
Inklusivität vs. Marginalisierung
Eine Online-Plattform wird immer auch Menschen ausschliessen. Wie jede andere Form der demokratischen Abstimmung ist sie nicht zu 100 Prozent inklusiv, sondern schliesst potentiell jene aus, die nicht am Computer oder im Internet zurecht kommen und jene, die keinen Zugang zu Geräten oder zum Netz haben. Aber das ist sowieso ein Problem, welches wir angehen müssen, wenn Schalter zu Billet-Automaten mit Touchscreen oder Telefonbücher zu Apps werden, und nach und nach die gesamte städtische Infrastruktur digitalisiert wird. So oder so müssen wir in öffentlich zugängliche Geräte und in gesamtgesellschaftliche digitale Kompetenzen investieren. Die Gegenfrage könnte also lauten: Wen schliesst eine Online-Plattform ein, den herkömmliche demokratische Instrumente bisher ausgeschlossen oder jedenfalls nicht mobilisiert haben? Denken wir beispielsweise an junge Menschen, an Politikverdrossene oder an Menschen, die zwar in der Schweiz leben, aber nicht hier abstimmen und wählen dürfen.
Die Frage der Machbarkeit
Ab und zu wird auf der Plattform vermutlich auch ein Witz oder ein absolut unmachbarer Vorschlag eingebracht. Na und? Wenn ein gelbes Badehäuschen in Form einer Ente tatsächlich grossen Zuspruch von der lokalen Bevölkerung erhält, dann ist das halt so – trotz ästhetischer Prinzipien und Diskussionen über guten Geschmack. Und wenn ein Vorschlag grossen Zuspruch erhält, der planerisch absolut nicht möglich ist, gegen diverse Gesetze verstösst oder nur auf kantonaler oder Bundesebene entschieden werden könnte, dann kann dies auf der Plattform erklärt und begründet werden. Eine Idee kann jederzeit auch qualifiziert verworfen werden, was dabei aber wichtig ist: Dass ein Wissensaustausch stattfindet, dass die Ideen-Autor*innen verstehen, warum etwas nicht geht. Auch das ist Demokratie-Förderung: Nachvollziehen zu können, warum manche Wünsche nicht in Erfüllung gehen (können).
Ein Vorschlag für Zürich
Es gibt viele gute Fragen, und noch lassen sich nicht alle beantworten. Aber genau daran arbeiten wir bei Nextzürich: An einem guten, Zürich-spezifischen Vorschlag für eine Beteiligungsplattform für räumlich-infrastrukturelle Projektideen. Weil wir finden, eine Smart City muss vor allem die Demokratie stärken: Nicht nur, aber auch im hyper-lokalen, also in den Quartieren und Nachbarschaften. Und ganz im Sinne dieser Plattform sind wir auch offen für Inputs und Ideen zur Ausgestaltung und Funktionsweise dieser Plattform. Denn, wenn die Smart City Dialog und Mitbestimmung fördern soll, dann sollten auch die Entwicklung der Smart City und deren Technologien nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Dieser Artikel wurde als Gastartikel von Nextzürich im Abschlussbericht «Smart Tsüri» veröffentlicht. Hier geht es zum vollständigen Bericht.
Schön, dass der Anstoss dieser Art von Mitwirkung bottom up eingebracht wird.
Evt. liesse sich ja für dieses Projekt die Stadt als Kooperationspartner gewinnen? Es gibt da ein paar Dienststellen, die dafür in Frage kämen.
Danke für den Hinweis. Ja, das wäre natürlich wünschenswert.
Welche Dienststellen sollten wir denn deiner Meinung nach konkret angehen?
Versucht’s mal beim Büro für Sozialraum & Stadtleben oder bei der Stadtentwicklung. Am Besten mit dem konkreten Anliegen oder der Fragestellung. Bzw. ihr könntet ganz unverfänglich fragen, ob eine Kooperation überhaupt möglich ist. Ist aber ohne Gewähr, dass sich etwas ergibt!
Berufen könnte man sich auf https://www.stadt-zuerich.ch/strategien2035