Hereinspaziert 2.0 – Zweite Ausgabe der Wohnungsspaziergänge

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Nach dem erfolgreichen ersten Wohnungsspaziergang im Herbst 2018 hat Nexzürich zusammen mit tsüri.ch am 30. März 2019 erneute zur Entdeckung der Wohnvielfalt in Zürich eingeladen. Ausgangspunkt der Veranstaltung waren die Fragen: Wie können wir in Zürich eigentlich wohnen? Welche wegweisenden Wohnformen und Möglichkeiten des Zusammenlebens gibt es? Wo in Zürich leben Menschen, die sich mit dieser Frage befasst und ihre Wohnsituation entsprechend gestaltet haben? Oder Menschen, die einfach aus ganz pragmatischen Gründen in einer nicht ganz 08/15-konformen Wohnform leben?

Wir haben diesmal neun solcher Gemeinschaften und Menschen ausfindig gemacht – manche öffneten ihre Türen zum ersten Mal, andere erneut für uns. Auf drei parallel laufenden Touren erkundeten wir das Zuhause von Zürcher*innen, die bereit waren, uns mehr über ihre Wohnsituation zu erzählen. Ein Bericht.

Tour 1: Von Balkonen, Dachterassen und Gärten

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Am Triemliplatz steht das angeblich “hässlichstes Hochhaus der Schweiz”. Wie lebt es sich in diesem Wohnhochhaus, von dem manche Passanten gar munkeln, es habe keine Fenster und stünde sicherlich schon lange leer? Entworfen und gebaut wurde das Triemli-Hochhaus, ein Zeitzeuge brutalisitischer Architektur aus den 1960er-Jahren, vom Architekten Rudolf Guyer. Tatsächlich ist beim Anblick der grauen Beton-Fassade von aussen schwer abzuschätzen, wer oder wie in diesem Gebäude gewohnt wird. Ein Augenschein in einer der Zweizimmerwohnungen im 12. Stockwerk offenbart jedoch: Hier lebt es sich zwar relativ auf kleinem Raum, aber ruhig und lichtdurchflutet sowie mit zwei Balkonen mit wunderbarem Blick über die Stadt vom Uetli- bis zum Hönnggerberg. Dank einer Schiebetüre zwischen Schlaf- und Wohnzimmer lassen sich die Räume zudem je nach Bedarf anders aufteilen. Die insgesamt 60 Zwei- und Dreizimmerwohnungen des Hochhauses weisen eine demografisch sehr durchmischte Bewohnerschaft auf, erzählt uns unsere Gastgeberin. Allerdings fände relativ wenig Interaktion unter den Bewohner*innen statt, sofern man sich nicht aktiv darum bemühe. Denn die Gemeinschaftsflächen beschränken sich auf das Treppenhaus, den Lift und die Waschküche.
Einen anderen Stellenwert weisen Gemeinschaftsflächen und Nachbarschaft den beiden Klein-Genossenschaften Gamper und 31. März auf. Beide öffneten bereits zum zweiten Mal ihre Türen, Gärten und Dachterrassen für die Nextzürich-Wohnungsspaziergänge. Mehr dazu im Bericht zur ersten Ausgabe.

Tour 2: Von Studentenwohnen, Weitblicken und Kellerkiosken

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Tour 2 startete auf dem Areal der ehemals besetzten Binz, auf dem sich nun die im Herbst 2018 frisch eröffnete WOKO Binz befindet- eine Wohnanlage für Studierende und Angestellte des Universitätsspitals. Die vier bis achtgeschossigen Gebäude verfügen über WGs und Studios verschiedener Grössen. Am Platz zum Eingang des Areals befindet sich ein belebtes vietnamesisches Restaurant – wie sich zeigen wird, der zum Zeitpunkt unseres Besuchs einzige wirklich belebte Ort. Unsere Gastgeberin, eine Architekturstudentin, zeigt uns die die Anlage samt Waschsalon, Goethetreppe und Gemeinschaftsräumen. Ihr Studio im obersten Stock ist nicht sehr gross und bietet doch Platz für ein Bad, eine Abstellkammer, eine kleine Küche, einen Esstisch und ein grosses Bett. Auf der Terrasse, welche alle Studios miteinander verbindet, bietet sich ein Ausblick zum Üetliberg. So richtig eingerichtet haben sich die anderen Bewohnenden auf der Terrasse aber noch nicht. Ob sich das gemeinsame Aneignen der Gemeinschaftsflächen auf dem Areal  in den nächsten Jahren noch entwickeln wird?

Nach einer Fahrradtour durch Strassen, gesäumt von blühenden Kirschbäumen, erreichen wir den Y-Park mit den angrenzenden Hardautürmen. Die Hochhäuser, 1976-1978 erbaut, zähten bis 2018 Jahr als die höchsten Wohngebäude Zürichs. Der Ausblick aus der 22. Etage ist die 30-sekündige Reise mit dem Lift allemal wert. Unsere Gastgeberin hier bewohnt hier oben eine Zweizimmerwohnung. Sie schätze die Wohnlage sehr und kenne hier auch ihre Nachbar*innen auf dem Stockwerk und habe einige  Freund*innen, die ebenfalls in der Überbauung wohnen. Der Austausch mit den restlichen Bewohnenden halte sich aber Grenzen – so wie das wohl in den meisten Wohnhäusern der Fall sei. Spontane Begegnungen fänden häufig im Lift oder den Innenhöfen statt, aber auch gezielter wie im Quartiertreff sowie dem angrenzenden Park mit Grillstelle. Es gibt zudem viele familienbezogene Aktivitäten wie etwa einen Mütterkontakt oder Spieleangebote für Kinder.

Noch gezielter werden Begegnungen unter Nachbarn in der Genossenschaft Karthago gefördert, welche wir bereits zum zweiten Mal besuchen. Die Genossenschaft zählt zusammen mit der Genossenschaft Dreieck und dem KraftWerk1 zu den Pionieren der alternativen Wohngenossenschaften aus den bewegten 90er-Jahren. Die neun Wohneinheiten des Hauses sind als Gross-WGs mit 16 bis 25 Quadratmeter grossen Zimmern ausgelegt. Daneben gibt es auch ein paar einzelne Mansardenzimmer. Im Haus leben insgesamt 55 Personen. Dass sie sich als eine Gemeinschaft verstehen wird an der Grossküche im Erdgeschoss mit Speisesaal augenscheinlich. Hier wird von Montag bis Freitag täglich ein Drei-Gänge-Menü von professionellen Köch*innen zubereitet, serviert und gemeinsam im Saal gespiesen. Deshalb sind die Wohnküchen in den einzelnen WGs relativ klein und simpel ausgestattet. Und wer einmal vergessen hat, rechtzeitig einzukaufen, kann sich jederzeit im hauseigenen Kiosk im Untergeschoss mit dem Nötigsten versorgen. Trotz viel Gemeinschaftssinn ist im Karthago aber auch Rückzug möglich – beispielsweise auf der ausladenden Dachterrasse mit Blick über Zürich. Wunderbare Sonnenuntergänge inklusive.

Tour 3 – Von Wohnen mit Service, Werkstätten und Waschkellern

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Bereits zum zweiten Mal statteten wir der Überbauung James – Wohnen mit Concierge – einen Besuch ab, diesmal mit einem anderen Gastgeber. Was das Wohnkonzept genau beinhaltet und wie sich der Wohnalltag in der Siedlung gestaltet, steht ausführlich im letzten Bericht und wird auch beim zweiten Besuch ähnlich beschrieben.

Die Wohnung, die wir dieses Mal betreten dürfen, liegt in luftiger Höhe im 10. Stock, mit Aussicht über die Innenstadt, See und Berge auf der einen Seite und Blick auf die sich rasant entwickelnden Stadtteile auf der anderen Seite. Seit rund 1.5 Jahren wohnt unser Gastgeber mit seiner jungen Familie im James und schätzt dabei vor allem die familienfreundliche Umgebung und die naheliegende Boulderhalle inkl. Restaurant, die das Quartier stark belebe. Die angebotenen Serviceleistungen stellen für ihn zwar eine praktische Alltagsunterstützung dar, seien aber kein Kriterium für die Wahl des Wohnorts gewesen.

Die Gastgeber*Innen am nächsten Stop, einer ehemaligen Werkstatt im Kreis 4, sind erst vor wenigen Monaten eingezogen. Die Möglichkeit, die 120 Quadratmeter grosse Wohnfläche aktiv mitgestalten zu können und selber ein Zimmer nach ihren Wünschen einzubauen, hat das Paar dazu bewogen, ihre langjährige Altbauwohnung aufzugeben und wieder in eine Wohngemeinschaft mit drei weiteren Personen zu ziehen.

Die Lage im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses, umgeben von diversen Büros und Ateliers und die Rampe, die einladend zum Hintereingang hinauf und direkt in den Wohn- und Essraum  hineinführt, habe sie schon mit zahlreichen Nachbarn ins Gespräch gebracht, so eine Bewohnerin. Sie lebe nun viel weniger anonym, obwohl sie jetzt «mitten im Kuchen» wohne.

Begegnung ist auch das Stichwort, das den Besuch des dritten Wohnorts prägt: der städtischen Überbauung Lochergut. Wir treffen unsere Gastgeberin in der Eingangshalle in einem der Türme, wo sich alle Briefkästen befinden. Die Halle sei DER Treffpunkt unter den langjährigen Bewohner*innen, die hier schwatzen und dabei stets im Auge behalten, wer das Haus betritt oder verlässt. Der Innenhof hingegen werde viel seltener als Treffpunkt genutzt.

Auch im Lift, der eher gemütlich bis in den 17. Stock fährt, treffe man seine Nachbarn, und es komme hie und da zu lustigen Begegnungen und spannenden Gesprächen. Sie schätze die soziale Durchmischung im Haus sehr, fügt jedoch an, dass heute wohl kaum mehr ein solcher Wohnturm mit lauter Einzimmerwohnungen gebaut werden würde. Ober angekommen erklärt sie, dass die rund 30 Quadratmeter Wohnfläche für sie gut ausreichen würden, da sie sowieso oft draussen und an ihrem Arbeitsort sei. Und die atemberaubende Aussicht kompensiere sowieso alles.

Eine Überraschung verbirgt sich im Keller des Locherguts, der alle Häuser miteinander verbindet und wo die Wasch- und Trockenräume untergebracht sind. Die Trockenräume, die eher wie Käfige für Kleider anmuten,, lassen sich für die Dauer des Gebrauchs abschliessen, und erstrecken sich links und rechts entlang eines langen Ganges. Vor kurzem wurden hier im Rahmen eines Filmabends japanische Horrorfilme gezeigt. Gänsehaut kam da bestimmt auf.

 

Karten: Tobias Sonderegger