Dichte andenken – Wie soll Zürich weiter wachsen?

Beitragsbild

Salon-Loop DENSITY* | opening
Mittwoch, 8. März 2017, 19.30
Pavilleon Werdmühleplatz

Input
Markus Nollert | Nextzürich

Keynote
Eberhard Tröger | Architekt, Autor, Künstler
eberhardtroeger.net

Moderation
Michael Metzger

An der Eröffnung des Salon-Loops DENSITY* am 8. März 2017 haben wir – im kuschelig vollen Pavilleon – die Diskussion über urbane Dichten lanciert!

Markus Nollert: Wie wo was dichten?

Stellt euch vor, ganz St. Gallen soll in den nächsten zwei Jahrzehnten in Zürich einziehen. Von dieser Prognose geht die Stadt momentan aus und Mitte Jahr wird der kommunale Richtplan vorgestellt. Höchste Zeit, dass die Bevölkerung mitredet!

Als Diskussionseinstieg öffnete Markus Nollert (Nextzürich) einen Fächer an Fragen. Verdichtung – oder Innenentwicklung, wie es in Fachsprache so schön heisst – kann dabei zunächst einmal im Anwachsen von Gebäudevolumen verstanden werden.

  • Geschieht das Wachstum an den geeigneten Orten (momentan v.a. in Randgebieten)?
  • Geschieht das Wachstum im passenden Mass?

Eine wichtige Grösse für Planer*innen ist die Ausnützungsziffer (Verhältnis von Gesamtgeschossfläche und der Grundstücksfläche). Das Problem dabei ist aber, dass die Ausnützungsziffer noch gar nicht viel über die Bauform aussagt. Gerade diese ist jedoch entscheidend für Lebensqualität und Atmosphäre. Dies zeigt folgender Vergleich:

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Wo würdest du am liebsten wohnen? Je höher die Ausnutzungsziffer, desto dichter das Quartier; dabei können bei gleicher Dichte je nach Bauform ganz andere urbane Atmosphären entstehen

 

Es geht also in der Diskussion um mehr als das bauliche Anwachsen von Volumen:

  • Welche Formenvielfalt kann Dichte annehmen?
  • Welche dichten Bauformen sind lebenswerter als andere und warum?

Nicht zuletzt sind es Menschen, welche sich ihre gebaute Umgebung aneignen können müssen. Die Studie «Akzeptanz der Dichte» des Kantons Zürich zeigt unabdingbare Rahmenbedingungen auf, wie etwa den Erhalt des Charakters von Quartieren, Preissenkungen im Mietsegment, eine Verbesserung der Lärmsituation etc. So muss die Lebensqualität in Verdichtungsprozessen gerade durch das Verbessern von Defiziten erhalten bleiben.

Finden wir in den kommenden Monaten weitere Rahmenbedingungen für gute städtische Dichten?

© Eberhard Tröger
© Eberhard Tröger

Eberhard Tröger: Atmosphären gestalten

Hier setzte unser Gast des Abends, Eberhard Tröger ein. Er fragte danach, wie aus bestimmten Konstellationen von Gebäuden, Aussenräumen, Ausstattungselementen, Nutzungen und Bewohnern triste oder eben schöne Atmosphären entstehen. Als Beispiel zeigte er Konstellationen solcher städtischer Elemente beim Sorgenkind Zürich West: Ohne Zusammenhang stehen Poller neben Lüftungsrohren neben Lieferantenwegen neben Kiesflächen neben Kunstskulpturen – es sind unverständliche und kaum nachvollziehbare Räume.

Dabei wären es gerade die vielfältigen Funktionen solcher Elemente und deren wohl überlegte Kombination, die ihrem Wesen nach genau verstanden werden müssen, um stimmige Atmosphären zu erzeugen. Ein anschauliches Beispiel sind Balkone. Werden sie auf die Strasse hinaus gebaut, können sie die soziale Funktion eines verzahnenden Elementes zwischen Privat und Öffentlich einnehmen. Werden sie bloss nach der Sonne ausgerichtet, dienen sie einseitig lediglich als abkapselnde Erweiterung des Privatraums.

Aber auch strukturelle Elemente wie die Grundstücksgrössen prägen die Atmosphäre massgeblich. Je nach Gross- oder Kleinteiligkeit der Parzellen entstehen völlig andere Bauformen. Dabei warnt Tröger vor den Gefahren zu grossflächiger Areale. Die daraus resultierenden Privatstrassen und Aussenräume können sich niemals wirklich mit dem Kontinuum der Stadt vernetzen, weil sie eigenen Regeln folgen und oft unterhaltsarm und zu wenig differenziert gestaltet sind. Wenn der Anteil an öffentlichem Raum unter 20 Prozent fällt, löst sich das Areal als Insel aus dem Gewebe der Stadt heraus. Um das zu verhindern wäre es wünschenswert, dass von jeder Haustür aus der öffentliche Raum nicht viel weiter als eine Minute zu Fuss entfernt liegt.

Als Lösung solcher Probleme lieferte Tröger eine Liebeserklärung an den öffentlichen Raum. Er sieht insbesondere die Strassen als wichtigsten Aufenthaltsraum einer Stadt, «viel wichtiger noch als Plätze». So wichtig, dass eine verantwortliche Stelle der Stadtverwaltung im Dialog mit den Bewohnern für ein entschieden gestaltetes und nachvollziehbares städtisches Kontinuum sorgen müsste. All das würde städtische Subtilität garantieren – ein feines Ineinanderflechten, das auf verschiedenste Dichten, Quartierscharaktere und deren Ausgestaltung reagieren kann, ohne das Ganze der Stadt aus dem Auge zu verlieren.

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Diskussion: „Gestaltung vom öffentlichen Raum her“

Aus dem Plenum kam nochmals die Frage nach den Gebäudemassen: Werden momentan zu grosse Volumen gebaut? Tröger sieht nicht in der Höhe der Gebäude das Hauptproblem, sondern in der Grundstücksgrösse. Beispielsweise können Bäume die sichtbare Gebäudehöhe und deren Effekte gut strukturieren und reduzieren. Die Gebäudelängen sind viel problematischer. Eine Obergrenze der zulässigen Parzellengrösse könnte eine Verinselung, wie man sie von Grossarealen kennt, verhindern. Bei kleinen Parzellen muss automatisch ein engmaschiges Netz von Zugangswegen, und damit öffentlicher Raum geplant werden. Als Anschauungsbeispiel könnten die grossräumigen Stadterweiterungen der Gründerzeit dienen:

«Damit meine ich nicht, dass alles wie eine Blockrandbebauung rund um den Idaplatz aussehen soll. Vielmehr ist es wichtig zu verstehen, warum diese Bauform aus der Gründerzeit so gut funktioniert. Nicht zuletzt leben wir heute in einer Zeit, die vergleichbar stark durch Investoren gesteuert wird. Der Unterschied ist, dass man heute vom Gebäude aus denkt und damals vom öffentlichen Raum her. Würde der öffentliche Raum wieder von vorneherein wie ein Bauwerk geplant, dann könnten die einzelnen Häuser heute viel freier gestaltet werden, weil sie an ein starkes Netz andocken könnten, das das städtische Kontinuum garantiert.»

A propos Strassen und Öffentlichkeit: Was ist eigentlich die Rolle des Verkehrs dabei? «Der motorisierte Individualverkehr ist gerade dabei, sich selber abzuschaffen. Mit selbstfahrenden Autos, Carsharing und alternativen Fortbewegungsmitteln wird sich die Anzahl an Autos in naher Zukunft drastisch verringern», so Tröger. Es sei daher gut denkbar, dass bald ein Anteil des Strassenraums umgenutzt werden kann. Umso kurzsichtiger ist es, dass die vielen neu gebauten Tiefgaragen im Moment noch die Logik des Städtebaus bestimmen.

In der engagierten Diskussion wurde nicht zuletzt klar, dass solche Gedankengänge auch Anschluss an die Realpolitik finden müssen, womit Budgetdebatten verbunden sind und ganz besonders das Problem des Mehrwertausgleichs. Es gibt weiterhin brach liegende Möglichkeiten der Einflussnahme, zu deren Umsetzung es mehr politischen Druck aus der Bevölkerung brauche. Doch dazu bald mehr.

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Eberhard Tröger (*1969)
Studium der Architektur an der TU Berlin. Nachdiplomstudium am Institut gta, ETH Zürich. 2010 Generalkommissar des Deutschen Pavillons der Biennale in Venedig. 2013 Dozent für Gestaltung am Departement für Architektur an der ZHAW Winterthur und Dozent für Spatial Design an der ZHdK in Zürich. www.eberhardtroeger.net
Buchautor „Dichte Atmosphäre: Über die bauliche Dichte und ihre Bedingungen in der mitteleuropäischen Stadt.“ Birkhäuser Basel. 2015

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